Gegen die Kultur
Heldengeschichten

In der Welt schreibt Deniz Yücel über die „Helden von Wien“ und arbeitet sich an deren Kritiker*innen in den sozialen Medien ab.

Da mittlerweile sogar die Tagesschau die „Heldengeschichte“ aufgegriffen hat und wir zu oben erwähnten Kritiker*innen gehören, möchten wir ein paar Gedanken dazu formulieren.

Wenn Yücel den Kritiker*innen vorwirft, dass sie nicht ihren Klarnamen in den sozialen Netzwerken verwenden, bedient er damit zwar ein verbreitetes, aber dennoch unsinniges Narrativ. Denn die Wahrheit einer Behauptung ist natürlich nicht an die Person gebunden. Zweifellos fällt es leichter, Lügen zu verbreiten, wenn diese nicht auf einen selbst zurückfallen können. Auf der anderen Seite fällt es leichter, unbequeme Dinge anzusprechen, wenn man nicht befürchten muss, dass einflussreiche Akteur*innen Konsequenzen folgen lassen. Beim konkreten Vorgang liegen allerdings Screenshots vor, deren Echtheit Yücel nicht einmal bezweifelt. Es geht hier also nicht um die Glaubwürdigkeit der behauptenden Personen, es geht um die Bewertung der Vorgänge.

Doch worum geht es?

Zusammengefasst kam es bei dem Anschlag in Wien zu einer Szene, in der zwei austro-türkische MMA-Kämpfer einem angeschossenen Polizisten und einer weiteren Person halfen, obwohl sie selbst vom Attentäter beschossen wurde.

Eine zweifellos beeindruckende Tat, die großen Respekt verdient!

In der Folge werden beide nun zu den „Helden von Wien“ hochgelobt, doch bereits kurz nach dem Bekanntwerden der Geschichte mehrten sich Screenshots der beiden, die darauf schließen lassen, dass beide Anhänger der Grauen Wölfe, also türkischen Faschisten, sind. Sind Menschen, die anderen unter großer Gefahr für sich selbst helfen, aber im Übrigen Fans einer einer rassistischen, faschistischen und antisemitischen Vereinigung sind, Helden?

Yücel findet, sie sind es. Er greift dafür auch direkt zur ganz großen historischen Kelle und vergleicht die beiden mit den US-Soldaten aus Kansas, die womöglich ebenfalls rassistisch dachten, oder Sowjetsoldaten, die sich möglichweise als Stalinfans herausstellen würden, aber dennoch im Krieg gegen Deutschland Großes vollbrachten.

Doch auch Abseits vom historisch gewagten Vergleich liegt Yücel hier daneben. Er vergleicht die Heldengeschichte, die um zwei konkrete Einzelpersonen gestrickt wird, mit der allgemeinen Anerkennung der Leistung alliierter Soldat*innen im zweiten Weltkrieg. Heldengeschichten um einzelne Soldat*innen im zweiten Weltkrieg existieren zwar, sie werden aber, falls einschlägig, durch ihre übrigen Fehlleistungen getrübt, relativiert, eingeordnet. Kaum eine Person, die sich selbst ernst nimmt, würde etwa Stalin als Helden präsentieren, weil er im Krieg gegen Deutschland auf der richtigen Seite stand und bei der Heldenerzählung ignorieren, dass unter seiner Herrschaft etwa jüdische und homosexuelle Personen verfolgt und ermordet wurden. Um die große historische Kelle Yücels mal weiterhin zu nutzen.

Auch ihre sonstige zur Schau getragene Einstellung ignoriert Yücel oder relativiert sie. Einer der beiden soll sich – sofern der Screenshot keine Fälschung ist – dahingehend geäußert haben, dass es ihm nicht Leid tue, was in Berlin geschehen sei. Mit Verweis auf den islamistischen Anschlag auf den Breitscheidplatz 2016. Beide sind auf Facebook und Instagram mit Zeichen und Emblemen der Grauen Wölfe zu sehen. Eine Gruppe, die für die Vertreibung, Unterdrückung und Ermordung von Jüd*innen, Kurd*innen, Armenier*innen und anderen unliebsamen Gruppen steht.

Als die Türkei das kurdische Afrin angriff, zeigten viele türkische Soldaten offen Symbole und Gesten der Grauen Wölfe. Bei ihrem Angriff auf Afrin wurden sie von islamistischen Kämpfern unterstützt, die u.a. der Al-Nusra-Front angehören sollen, also einer islamischen Terrorgruppe, die sich in ihrer Barbarei nur graduell von Daesh unterscheidet.

Yücel hingegen legt den beiden nun eine Distanzierung von diesem Gedankengut in seinem Artikel geradezu in den Mund, die bisher jedoch ausbleibt. Und ja, es wäre erfreulich und zeugte von Heldenqualitäten, anzuerkennen, dass das in der Vergangenheit geäußerte falsch war. Wer selbst nicht vor Jahren Unsinn gedacht oder gepostet hat, werfe den ersten Stein. Doch Yücel selbst stellt in seinem Artikel gleich zu Anfang dar, dass wir nicht mit einer solchen Distanzierung rechnen sollten. Einer der beiden „Helden von Wien“ zeigt sich voller Hochachtung und Liebe für Recep Tayyip Erdogan. Dem Mann also, der nicht nur den Angriff auf Afrin mit deutschen Panzern und islamistischen Verbündeten durchführte. Sondern auch der Mann, der den Grauen Wölfen nahesteht und der nach den islamistischen Anschlägen in Frankreich noch Öl in das islamistische Feuer goß.

Der Wunsch danach, eine versöhnliche Heldengeschichte zu schreiben, muslimische Migranten, die einem Polizisten während eines islamistischen Attentats das Leben retten, ist verständlich. Angesichts der rassistischen Reaktionen auf das Attentat möchte man den Rassist*innen, die noch bevor die Körper kalt sind, schon versuchen ihren Nutzen aus dem Leid zu ziehen, eine kraftvolle Erzählung entgegen halten. Aber für die Erfüllung dieses Wunsches kann man nicht die politischen Scheuklappen anlegen und die Realität biegen bis es kracht.

Wer sucht, der findet auch beim Anschlag in Wien die kleinen Heldengeschichten, die das Selbstverständliche unterstreichen. Muslim*innen, die völlig selbstverständlich helfen, wenn Menschen in Not sind oder bedroht werden. Wer ernsthaft einen Beleg in Form einer schrägen Heldengeschichte für die Erkenntnis braucht, dass auch muslimische Menschen in erster Linie ihre Leben in Frieden und Freiheit leben wollen, sollte besser bei sich selbst anfangen zu reflektieren, als Menschen mit menschenverachtender Einstellung zu Helden zu stilisieren.

Wir stehen unversöhnlich gegen die Barbarei. Die Barbarei islamistischer Attentäter, die den Tod lieben und all jene hassen, die das das Leben lieben. Die Barbarei pantürkischer Rassisten, die noch vor wenigen Monaten in Wien kurdische, österreichische und türkische Linke gleichermaßen durch Wiens Straßen jagten und zum Teil schwer verprügelten. Die Barbarei weißer Rassist*innen, die in den Parlamenten jene ebenfalls rassistischen und antisemitischen Täter auf den Straßen beflügeln, die vor Syngagogen, in Shisha-Bars und Einfamilienhäusern morden.

Wir stehen an der Seite von all jenen, die von Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus und Sexismus betroffen sind.

Und gerade deswegen ist es unerträglich, dass Anhänger, einer Gruppe, die für all das steht, zu Helden gemacht werden sollen.

Bijî Rojava
Am Yisrael Chai

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